Den Chemie-Nobelpreis erhält Ernst Otto Fischer 1973 für ein eigentlich unmögliches Molekül: das Ferrocen. Dass es aufgebaut ist wie ein Sandwich mit einem Eisenatom in der Mitte, entdeckt Fischer an der heutigen Technischen Universität München (TUM). Die Entschlüsselung dieser Struktur erweitert unser Verständnis davon, wie Atome miteinander verbunden sein können.
Ernst Otto Fischer traut den Ergebnissen seiner Experimente 1952 zuerst selbst nicht recht – aber sie lassen keine andere Erklärung zu: Ein Eisenatom steckt wirklich in der Mitte zwischen zwei fünfeckigen Kohlenwasserstoff-Ringen, wie zwischen den Scheiben eines Sandwiches. Eigentlich völlig undenkbar. Ein Metallatom umgeben und „gehalten“ von zwei organischen Gruppierungen – ein derart aufgebautes Molekül hat die Wissenschaft bisher weder gesehen noch für möglich gehalten. Doch das muss der Grund für die enorme Stabilität dieser orangefarbenen Kristalle sein, die sich erst bei etwa 470 °C zersetzen.
Unter dem Namen „Ferrocen“ wird das Molekül bald bekannt. Für den Beweis seiner Struktur erhält Fischer 1973 den Nobelpreis – und dafür, dass er mit seinem Laborteam ungezählte ähnliche Moleküle hergestellt und erforscht hat. Mit der Entdeckung der Sandwich-Verbindung ändert sich das Verständnis, wie Atome miteinander verbunden sein können, grundlegend. Fischer teilt sich den Nobelpreis mit Geoffrey Wilkinson. Der Brite hat in Harvard fast zeitgleich ebenfalls die Struktur des Ferrocens entschlüsselt und ist damit wie der Münchner Professor Fischer ein Pionier der „Metallorganischen Chemie“.
Wilkinson gibt der merkwürdigen Verbindung ihren Spitznamen: molekulares Sandwich. Ein einprägsames Bild. Sogar das Nobelkomitee stellt das Ferrocen als ein Sandwich mit einer Kugel zwischen zwei Brotscheiben dar.
Die Zubereitung ist einfach: Erhitzt man reines Eisen mit der Kohlenwasserstoff-Verbindung Cyclopentadien auf rund 300 °C, entsteht Ferrocen – oder chemisch korrekt: Dicyclopentadienyleisen (C10H10Fe). Doch was geschieht bei der Reaktion? Im ringförmigen Cyclopentadien-Molekül sind immer vier der fünf Kohlenstoffatome mit Doppelbindungen eng verbunden. Jedes trägt außerdem ein Wasserstoffatom. Das fünfte aber trägt zwei Wasserstoffatome. Beim Erhitzen wird nun eines dieser zwei Wasserstoffatome freigesetzt, und beide Ringe nehmen das Eisenatom in ihre Mitte.
Nach der damals geltenden Theorie sollte eigentlich jeder der beiden Cyclopentadienyl-Ringe des Ferrocens eine negative Ladung tragen – ein Elektron, das der Ring der Theorie zufolge dem Eisen entrissen haben müsste. Doch anders als erwartet teilen sich das Eisen und die beiden Ringe die Elektronen so perfekt, dass ein nach außen gänzlich ungeladenes, höchst stabiles Molekül entsteht. Fischer entschlüsselt die seltsame Struktur der Eisenverbindung unter anderem mit Untersuchungen zum magnetischen Verhalten. Doch erst nach röntgenographischen Untersuchungen, die er zusammen mit seinem Kollegen Wolfgang Pfab durchführt, ist sich Fischer sicher. Sie veröffentlichen die Ergebnisse gemeinsam und versetzen die Fachwelt in Erstaunen.
Die „kostbare Freude, der reinen Erkenntnis im Experiment nachzugehen“ treibt Ernst Otto Fischer an, der von 1964 bis 1984 auf dem einst von Emil Erlenmeyer geführten Lehrstuhl der TUM forscht und lehrt. Doch obwohl Fischer sich vor allem der Grundlagenforschung verpflichtet sieht, ist sein Werk bedeutend für die Industrie. Nach dem Muster des Ferrocens stellen seine Forschungsgruppe und das Labor von Wilkinson hunderte ähnlicher Sandwich-Moleküle her, „Metallocene“ genannt. Einige davon erweisen sich als wirkungsvolle Katalysatoren, vor allem für die Kunststoff-Herstellung. Sie beschleunigen chemische Reaktionen oder machen sie überhaupt erst möglich. Fischers Forschungen begründen damit den hervorragenden Ruf der TUM in der Katalyseforschung.
„Sie bereiteten das Sandwich nicht selbst zu, aber sie waren die ersten, die die eigenartige Natur der Verbindung und ihre konzeptionelle Bedeutung begriffen.“
Nobel-Komitee,1973, zur Verleihung des Nobelpreises an Ernst Otto Fischer und Geoffrey Wilkinson