Die DNA kann mehr als nur Gene speichern. Ein Physiker der Technischen Universität München (TUM) faltet und biegt die Erbgutmoleküle und setzt sie zu völlig neuen Formen zusammen. Denn das stabile Material eignet sich hervorragend als Baustoff für winzige Werkzeuge – etwa für die Medizin.
Millionen winziger Figuren tummeln sich unter dem Elektronenmikroskop, jede von ihnen nur wenige Nanometer groß: Roboter winken mit den Armen, Bücher öffnen und schließen sich und Zahnräder greifen wie in einem Getriebe ineinander. Was der Physiker Hendrik Dietz und sein Team im Jahr 2015 unter dem Mikroskop sehen, ist für sie ein entscheidender Schritt voran. Erstmals haben sie auch in ihrem eigenen Labor bewegliche Formen im Nanomaßstab hergestellt – und zwar aus Schnipseln des Erbgutmoleküls DNA.
Bald will Dietz auf diese Weise im Labor sogar ganze Maschinen und Motoren aus DNA bauen, die dann zum Beispiel Medikamente an die richtige Stelle im Körper bringen. Also biegt und faltet er DNA-Stränge, staucht und zerrt sie und fügt sie neu zusammen. Das Prinzip ist als „DNA-Origami“ bekannt, seit es 2006 in Kalifornien entwickelt wurde. Und bereits um die Jahrtausendwende herum hat die Forschung erkannt: Dieses Molekül, mit dem Lebewesen sonst ihre Gene speichern, eignet sich hervorragend als Baustoff. Denn DNA ist stabil und bildet regelmäßige Ketten, die sich gut neu zusammensetzen lassen.
Seine ersten dreidimensionalen Objekte aus DNA formt Dietz 2009 mit Kollegen noch als Postdoc in Harvard. Kurz darauf beruft ihn die TUM zum Professor für Experimentelle Biophysik. Seither entwickelt sein Labor die Origami-Technik ständig weiter: Das Team produziert etwa künstliche Membrankanäle aus DNA und Proteinen, einen Nano-Greifer oder es verkürzt die Zeit für die Selbstmontage der DNA-Schnipsel von einer Woche auf nur wenige Stunden. 2015 erhält Dietz für seine Errungenschaften den Leibniz-Preis, den wichtigsten deutschen Forschungspreis.
„Man stellt alle benötigten Teile her, gibt sie zusammen, erwärmt, schüttelt und schaut, was dabei herauskommt.“ Klingt ganz einfach, wie Hendrik Dietz den Bau neuer Formen aus DNA-Schnipseln beschreibt. Denn sie setzen sich im Reagenzglas tatsächlich selbst zusammen – dieses Phänomen heißt in der Nanotechnik Selbstorganisation. Wie Legosteine klinken sich dabei gegengleiche Teile ineinander. Zu welchen Formen sie zusammenwachsen, entwickeln die Forscherinnen und Forscher vorher allerdings am Computer. Die Länge der Ketten sowie die genaue Abfolge der Basen auf einem DNA-Strang bestimmen, welche Form entsteht – ob etwa Roboter, Greifer oder Propeller im Nanomaßstab.
Eines der größten Hindernisse, um DNA-Origami für die Heilung von Krankheiten einzusetzen, waren lange die Kosten: Etwa 100.000 Euro kostete es bislang, nur ein Gramm neuer DNA-Strukturen herzustellen. Doch mit der Hilfe von E.coli-Bakterien kann Dietz die Kosten drastisch senken. Man fügt dafür einzelne DNA-Schnipsel beliebiger Länge und Struktur in die Bakterien-DNA ein – und bei der Zellteilung werden diese binnen kurzer Zeit massenhaft vervielfältig. Zusammen mit Bioverfahrenstechniker Dirk Weuster-Botz produziert Dietz 2017 auf diese Weise symbolisch eine Pille aus DNA-Schnipseln. Sie kostet nur noch 100 Euro pro Gramm. Und enthält alle nötigen Bestandteile zum Bau neuer Nanostrukturen.
Einen Transporter zu bauen, der medizinische Wirkstoffe an genau die richtige Stelle im Körper bringt, sie erst dort freisetzt und dadurch den restlichen Organismus schont – das ist eines der nächsten Ziele von Dietz und seinem Forschungsteam. Wichtige Bauteile haben sie schon entwickelt. Darunter ein Modul, das Löcher in Zellmembranen erzeugen kann, sowie ein Käfig, der als Transportkapsel dienen könnte. Doch viele Fragen sind noch ungeklärt. Wie reagiert zum Beispiel der Körper auf einen solchen Nanotransporter? Bekämpft er ihn mit seinem Immunsystem oder nimmt er ihn problemlos auf? Die ersten Studien dazu haben bereits begonnen.
„Wir haben jetzt ein Regelwerk, mit dem man die kleinsten DNA-Bausteine programmieren kann. Man kann sie nach Belieben zusammenfügen – fast wie Legosteine.“
Hendrik Dietz, 2017, Professor für Experimentelle Biophysik der TUM und Carl-von-Linde-Senior-Fellow am TUM Institute for Advanced Study
Im Video erklärt Hendrik Dietz, woran er mit seinem Team im Labor für biomolekulare Nanotechnologie forscht. Ihr Ansatz: „Was man nicht bauen kann, kann man nicht verstehen.“ (Video: Douglas-Film 2014)