OPs am offenen Herzen sind riskant. Deswegen macht Chirurg Rüdiger Lange nur einen winzigen Schnitt in der Haut, wenn er eine neue Herzklappe einsetzt. Im Jahr 2000 ist der Mediziner der Technischen Universität München (TUM) der erste Chirurg weltweit, der mit dieser minimalinvasiven Technik operiert. Das senkt die körperliche Belastung des Eingriffs für Patientinnen und Patienten.
Das Herz wird stillgelegt und eine Maschine übernimmt die lebenswichtige Versorgung des Körpers. Bei vielen Herzoperationen war das lange notwendig und mit einem hohen Risiko verbunden. Rüdiger Lange entschärft dieses große Problem der Herzchirurgie: er entwickelt neue minimalinvasive Operationstechniken. Seither sind OPs auch am schlagenden Herzen möglich, ohne dass der Brustkorb vollständig geöffnet werden muss.
Durch einen wenige Zentimeter großen Schnitt in der Haut schiebt Lange seine chirurgischen Werkzeuge zum Herzen. An einem Bildschirm sieht er stark vergrößert, was er im Inneren des Körpers tut. Im Jahr 2000 ist er der erste Arzt weltweit, der auf diese Weise eine Herzklappe operiert. Er ist Medizinischer Direktor am Deutschen Herzzentrum München, das zur TUM gehört und eine der besten Kliniken der Welt für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist.
Mit diesen schonenden Eingriffen lassen sich inzwischen die meisten Fehler an der sogenannten Mitralklappe in der linken Herzhälfte und der Aortenklappe behandeln. In den letzten Jahren entwickelten Lange und sein Team zudem Techniken für Herzklappen-OPs, bei denen der Brustkorb vollständig unversehrt bleibt. Dabei führen sie ihre Instrumente zum Beispiel über die Leiste ein. Doch nicht immer sind minimalinvasive Herzklappen-OPs möglich, etwa bei der sehr seltenen Ebstein’schen Anomalie. Doch Lange ist einer von nur wenigen Ärzten weltweit, die diesen angeborenen Fehler an der Trikusspidalklappe korrigieren können, ohne die Klappe ersetzen zu müssen.
Herzklappen funktionieren wie Schleusen. Sie öffnen und schließen sich mit jedem Herzschlag und sorgen dafür, dass das Blut immer in die richtige Richtung fließt: aus dem Vorhof in die Herzkammer und von dort in den Rest des Körpers. Jede Herzhälfte hat zwei dieser Klappen. Die linke Herzhälfte pumpt sauerstoffreiches Blut aus der Lunge durch die Hauptschlagader zu den Organen. Gleichzeitig bringt die rechte Herzhälfte sauerstoffarmes Blut aus dem Körper zur Lunge. Dort nimmt es frischen Sauerstoff auf und gelangt über die linke Herzhälfte wieder in den Körper.
Mit extremem Fingerspitzengefühl retten Lange und sein Team 2015 das Leben eines 11-Monate alten Säuglings. Es ist eine OP am offenen Herzen. Ein minimalinvasiver Eingriff ist unmöglich, denn das Herz des Jungen ist nicht größer als eine Walnuss. Lange operiert deshalb mit Nadeln so dünn wie ein Haar. Das Kind hat einen angeborenen Herzfehler, bei dem der Herzmuskel nicht genügend Sauerstoff erhält. Lange legt eine künstliche Aderverbindung, die den Herzmuskel versorgt – einen sogenannten Bypass. Eine solche OP bei einem Säugling trauen sich nur wenige Ärztinnen und Ärzte auf der Welt zu, es gibt kaum Literatur oder Erfahrungswerte. Doch Langes Eingriff ist erfolgreich: Heute ist der Junge über drei Jahre alt und gesund.
Seit wenigen Jahren stellen die Ärztinnen und Ärzte um Rüdiger Lange auch Herzklappen aus körpereigenem Gewebe vollständig wieder her. Sie schneiden dafür ein Stück aus dem Herzbeutel der Erkrankten, fertigen daraus die neue Klappe und setzen sie ein. Das bietet vor allem für Kinder und junge Erwachsene Vorteile: Sie müssen nach der Operation nicht lebenslang Medikamente einnehmen oder nach wenigen Jahren wieder eine neue Klappe bekommen. Weltweit bieten nur eine Handvoll Zentren dieses OP-Verfahren an. In München sind bereits über 60 Patienten und Patientinnen auf diese Weise operiert worden – bislang ohne Komplikationen.
„Die Herzmedizin – und damit auch die Herzchirurgie – wird sich immer mehr zu Eingriffen hin entwickeln, die man ohne Schnitt und ohne Operation durchführen kann.“
Rüdiger Lange, Medizinischer Direktor am Deutschen Herzzentrum München, Professor für Herz- und Gefäßchirurgie an der Technischen Universität München