Nervenzellen im Gehirn live zuzusehen, war lange ein Traum für die Neurowissenschaften. Heute gelingt dies Arthur Konnerth und seiner Forschungsgruppe an der Technischen Universität München (TUM) mit äußerster Präzision. Ihre Entdeckungen sind bisweilen überraschend – und weisen den Weg zu neuen Therapien für Demenzerkrankungen wie etwa Alzheimer.
Live und in Farbe beobachten der Mediziner Arthur Konnerth und seine Forschungsgruppe, was in einzelnen Nervenzellen des Gehirns geschieht und wie zugleich tausende dieser Neuronen miteinander kommunizieren. Mit Laserstrahlen erstellen sie mikroskopische 3D-Bilder von tiefen Gewebeschichten und mit winzigen Glaspipetten messen sie, wie Nervenzellen Signale weitergeben.
So gewinnen Konnerth und sein Team grundlegende Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns – und darüber, was bei zerstörerischen Krankheiten wie Alzheimer und anderen Formen von Demenz passiert. Ihre Methoden sind heute in Laboren weltweit im Einsatz. 2015 erhält Konnerth zusammen mit drei weiteren Wissenschaftlern den „Brain Prize“, die höchste Auszeichnung in den Neurowissenschaften. Die von ihnen entwickelten Methoden haben die Hirnforschung revolutioniert. Denn sie erlauben erstmals einen detaillierten Blick ins lebende Gehirn.
Zwei-Photonen-Mikroskopie heißt die Methode, die Konnerth so perfektioniert hat, dass sie die Aktivität einzelner Gehirnzellen und ihre Kommunikation mit tausenden anderer zeigt. Laserimpulse lassen dabei einen Farbstoff grün aufleuchten, der in die Zellen injiziert wurde. Aktive Zellen leuchten unter dem Mikroskop besonders hell, weil der Farbstoff an Kalziumionen bindet, die an den meisten Zellaktivitäten beteiligt sind. Um gleichzeitig auch die Vorgänge in einer einzelnen Zelle zu erkennen, kombiniert Konnerth die Laser-Methode mit der sogenannten Patch-Clamp-Technik: Eine wenige Mikrometer dünne Glaspipette misst an einer Zellmembran, wie Ionen durch sie hindurchströmen und die Zelle so Signale weitergibt.
Wie speichern wir Erinnerungen? Der Verlust des Gedächtnisses ist gerade bei Demenzerkrankungen ein großes Problem. Dank Konnerths Arbeit verstehen wir diese Vorgänge im Gehirn besser. Sein Team entdeckte 2013, wie und wo die langsamen und rhythmischen Wellen entstehen, die im Tiefschlaf das Gehirn durchlaufen. Mit ihnen verfestigen wir Erlerntes und verschieben Erinnerungen in den Langzeitspeicher. Konnerths Team zeigt auch: Ein kleines Bündel aus Nervenzellen im Inneren der Hirnrinde reicht aus, um eine Welle zu erzeugen, die sich durch das gesamte Gehirn ausbreitet – und dass diese Verbreitung bei Alzheimer gestört ist.
Eigentlich will Konnerths Doktorand Marc Aurel Busche 2008 Zellen beobachten, die von Alzheimer betroffen sind und die deswegen in ihrer Funktion gehemmt sind. Doch stattdessen entdeckte er hyperaktive Nervenzellen, die ständig und unkontrolliert falsche Signale aussenden. Die Konsequenz: Die für das Gedächtnis so wichtigen rhythmischen und gleichmäßigen Wellen geraten geraten außer Kontrolle. Eine überraschende Erkenntnis, die den Weg für eine Alzheimer-Therapie bereiten könnte. Denn die Forschungsgruppe findet auch heraus, wie ein Wirkstoff bei Mäusen mit Alzheimer die hyperaktiven Zellen beruhigt und die Gedächtnisfunktion wieder normalisiert. 2017 beginnen die Vorbereitungen für eine große klinische Studie.
"Das große Problem gerade bei Therapien für psychische Erkrankungen ist, dass wir nicht im Detail verstehen, wie das Gehirn funktioniert. Wir versuchen also, ein System zu reparieren, das wir nicht genau kennen. Deswegen sind Therapien bisher nicht effektiv genug und haben zu viele Nebenwirkungen."
Arthur Konnerth, Friedrich-Schiedel-Stiftungslehrstuhl für Neurowissenschaften an der TUM