Welchen kosmischen Katastrophen entstammen sie? Sicher ist: Die hochenergetischen Neutrinos, die die Physikerin Elisa Resconi von der Technischen Universität München (TUM) mit dem Neutrino-Teleskop IceCube am Südpol aufspürt, kommen von außerhalb unseres Sonnensystems. Weil die Elementarteilchen mühelos jegliche Materie durchdringen, versprechen sie einen völlig neuen Blick ins Universum. 2017 lässt sich sogar erstmals ein Blazar in vier Milliarden Lichtjahren Entfernung als Neutrino-Quelle bestimmen.
„Die Neutrinos sind wie Nachrichten aus dem All“, sagt die Experimentalphysikerin Elisa Resconi. „Unsere Aufgabe ist es, sie zu entschlüsseln.“ Die extrem leichten Elementarteilchen rasen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durchs Universum und ihre Eigenschaften verraten etwas über die physikalischen Prozesse, die sie ins All katapultiert haben. Deswegen erhoffen sich Forscherinnen und Forscher wie Resconi aus ihnen Aufschlüsse über gewaltige kosmische Phänomene: Supernovae, Pulsare oder aktive galaktische Kerne. Mit sichtbarem Licht, Radio- oder Röntgenstrahlung ist das schwer möglich, denn intergalaktische Wolken oder andere Hindernisse halten deren Photonen ab.
Doch Neutrinos sind schwer zu fangen, denn sie durchdringen Materie mühelos. Der erstmalige Nachweis von höchstenergetischen Neutrinos von außerhalb unseres Sonnensystems gelingt 2012 dem IceCube-Experiment, einem riesigen Teilchendetektor in der Antarktis. An dem internationalen Projekt ist auch die Forschungsgruppe von Elisa Resconi an der TUM beteiligt. Sie wollen hochenergetische Neutrinos finden – also solche, die nicht unserer Sonne oder der Erdatmosphäre entstammen, sondern die Zeugnis geben können von gewaltigen kosmischen Ereignissen in unserer Galaxie oder in noch weiterer Ferne.
IceCube ist das wohl außergewöhnlichste Teleskop der Welt: Im ewigen Eis des Südpols eingefroren liegen seine 5160 optischen Sensoren, die Zusammenstöße von Neutrinos mit Eismolekülen registrieren. IceCube ist riesig: Es umfasst einen ganzen Kubikkilometer Eis. Denn je mehr Materie die Neutrinos durchqueren, desto wahrscheinlicher ist es, dass doch einmal eines von ihnen mit einem anderen Teilchen zusammenstößt – und der IceCube-Detektor es registriert.
Wenn Neutrinos mit Eismolekülen kollidieren, entstehen geladene Teilchenschauer. Sie erzeugen im glasklaren Eis blau-ultraviolette Blitze, sogenannte Tscherenkow-Strahlung. Dieses Licht wird von den optischen Sensoren registriert, die in Glaskugeln so groß wie Basketbälle eingeschlossen sind. Sie verstärken die Signale, wandeln sie in elektrische Impulse um und übersetzen sie noch im Detektor in ein digitales Signal. Eine Präzisionsuhr misst die Ankunftszeit der Neutrinos bis auf fünf Nanosekunden genau.
Mehr als 80 Neutrinos aus den Tiefen des Alls hat IceCube inzwischen registriert. Doch woher genau sie kommen, blieb ein Rätsel – bis zum 22. September 2017. An diesem Tag schlägt ein energiereiches Neutrino in den IceCube-Detektor ein, dessen Herkunftsrichtung genau ermittelt werden kann und auf ein vier Milliarden Lichtjahre entferntes Objekt zeigt: den Blazar TXS 0506+056, einen aktiven galaktischen Kern. Auch andere astronomische Teleskope messen zeitgleich erhöhte Aktivitäten aus dieser Richtung, vor allem die Gammastrahlung ist auffällig. Weitere Untersuchungen alter IceCube-Daten und der Umgebung um den Blazar bestätigen, dass nur TXS 0506-056 als Quelle für das Neutrino in Frage kommt. Damit konnten die Forscherinnen und Forscher erstmals den Ursprungsort eines kosmischen Teilchens identifizieren – ein großer Erfolg nach einer mehr als hundertjährigen Suche. Elisa Resconi: „Unsere Forschungsgruppe hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet.“
„Nun müssen wir klären, woher diese Neutrinos stammen und wie sie entstanden sind. Wir stehen damit erst am Anfang einer neuen Astronomie mit Neutrinos.“
Elisa Resconi, Heisenberg-Professorin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der TUM für den Bereich Neutrino-Astronomie
Wie fängt IceCube ein Neutrino, das einem Blazar in vier Milliarden Lichtjahren Entfernung entstammt? Das Video erklärt es. (Quelle: TUM)