Wie hilft ein Robotik-Forscher gelähmten Menschen dabei, das Gehen wieder zu erlernen? Indem er Robotern die Fähigkeiten und Bedürfnisse von Menschen beibringt. Gordon Cheng von der Technischen Universität München (TUM) verbindet auf völlig neuartige Weise Robotik mit den Neurowissenschaften. Er entwickelt Roboter mit Gefühl.
Den 12. Juni 2014 wird der Brasilianer Juliano Pinto, der schon seit einigen Jahren querschnittsgelähmt ist, wohl nicht wieder vergessen. Gestützt durch einen Roboteranzug gelingt es ihm, nur mit der Kraft seiner Gedanken, einen Fußball anzustoßen. Damit eröffnet er im ausverkauften Stadion von São Paulo symbolisch die Fußball-Weltmeisterschaft. Pintos Auftritt ist der Höhepunkt des internationalen Walk-Again-Projekts, das mit einem Exoskelett querschnittsgelähmten Menschen zum Gehen verhilft. Ein entscheidendes Bauteil für diesen Roboteranzug entwickelt Gordon Cheng an der TUM: die künstliche Haut, mit der Pinto seine eigenen Schritte spürt.
Cheng ist einer der weltweit führenden Experten für humanoide Roboter. „Ich liebe Roboter“, sagt er. Sein Ziel ist es, Menschen und der Gesellschaft zu helfen – mit diesen menschenähnlichen Maschinen. Sie sollen Gelähmten wie Juliano Pinto das Gehen beibringen oder bei der Therapie von Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose helfen.
Cheng schafft dafür eine Verbindung zwischen Neurowissenschaften und Robotik, wie es sie nie zuvor gab. An seinem Institut für Kognitive Systeme forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt daran. Sie tauschen sich intensiv mit anderen Forschenden aus, etwa aus der Psychologie oder der Medizin. Das vielfältige wissenschaftliche Umfeld an der TUM und in ganz München macht es möglich.
Damit Roboter ihre Umgebung wie ein Mensch erfühlen können, entwickelt Cheng mit seinem Team eine Art künstliche Haut. Mit den wabenförmigen Zellen spürt ein Roboter zum Beispiel, wenn er berührt wird. Die Sensoren erfassen neben Berührungsnähe auch Druck, Vibration, Temperatur und sogar Bewegung im dreidimensionalen Raum. Im Walk-Again-Projekt erfüllt die Roboterhaut eine unabdingbare Funktion: Integriert in den Fußsohlen des Exoskeletts sendet sie Signale an kleine Motoren, die an den Armen der Patienten und Patientinnen vibrieren. Mit dieser Rückmeldung schaffen sie es, die Roboter-Beine zu bewegen. Sie spüren, wenn ihre Füße den Boden berühren. Eine Rückmeldung, die unentbehrlich ist für ihr Sicherheitsgefühl.
Eine Studie, bei der querschnittsgelähmte Menschen das Gehen mit einem Exoskelett lernen sollten, verblüfft im Jahr 2016 die Forscher und Forscherinnen. Denn nach nur einem Jahr des Trainings gewinnen alle acht Teilnehmenden wieder die bewusste Kontrolle über ihre Beine sowie das von der Hüfte abwärts verlorene Gefühl in den unteren Extremitäten. Ihr Gehirn hat sich mithilfe des Trainings umorganisiert, erklären die Forscher und Forscherinnen das überraschende Phänomen: „Unser Gehirn ist anpassungsfähig, wenn es darum geht, körperliche Fähigkeiten durch die Verwendung von Werkzeugen zu erweitern“, sagt Cheng. Die vormals jahrelang Gelähmten haben neue neuronale Vernetzungen erzeugt und auf diese Weise ihr Körperschema neu organisiert.
Dass es sinnvoll ist, Roboter nach dem menschlichen Vorbild zu bauen, bestätigt eine von Cheng beauftragte Studie bereits im Jahr 2005. „Wir beobachteten, wie Menschen mit humanoiden Robotern umgehen, und fanden heraus, dass es besonders einfach ist“, berichtet der Forscher. „Unser Gehirn ist von Natur aus darauf eingestellt. Wenn man einem Roboter etwas beibringen oder etwas von ihm lernen will, ist es einfacher, wenn der Roboter aussieht wie ein Mensch, es macht die ganze Sache natürlicher. Ich sehe das auch an Kindern, sie geben dem Roboter die Hand.… Man projiziert seine eigenen Reaktionen auf ihn, und man hat bestimmte Erwartungen.“
„Der soziale Umgang mit Robotern ist bald kein Science Fiction mehr, sondern so sicher und selbstverständlich, wie der Umgang mit Computern und Smartphones.“
Gordon Cheng, Professor für Kognitive Systeme an der Technischen Universität München